Wie kommt es, dass viele negative Erfahrungen, die wir machen, so intensiv im Fokus unserer Aufmerksamkeit verbleiben? Da ist zum Beispiel eine Bemerkung von unserer Partnerin oder unserem Partner über unser Aussehen, die uns durch den Kopf geht. Oder wir nehmen das Gespräch nächste Woche mit der Chefin gedanklich vorweg und gehen mental schon mal mögliche schwierige Bemerkungen über unsere Arbeitsleistung durch.
Ein Grund dafür ist der sogenannte Negativitätseffekt, der Negativity Bias, mit dem uns die Evolution ausgestattet hat. Der Negativity Bias hatte eine wichtige Funktion im Leben und Überleben der Menschheit. Er hatte die lebenswichtige Funktion, neben dem Suchen von angenehmen Erfahrungen, wie z.B. Nahrung, Schutz oder Wärme, vor allem negative Situationen zu meiden, so etwa den Kontakt zu gefährliche Raubtieren und Situationen. Das Meiden von gefährlichen Situationen hatte somit eine lebenswichtige - das Leben erhaltende - Funktion, die unser Fortbestehen gewährleistete. Die Aufmerksamkeit auf negative Erfahrungen war somit wichtiger als die Beschäftigung mit positiven Situationen.
Deshalb sind wir darauf konditioniert unsere Umwelt nach negativen - uns bedrohenden - Situationen abzuscannen. Diese Erfahrungen gelangen dann in unser Gedächtnis, mit allen ihren emotionalen und körperlichen Färbungen. So aktiviert das Stresshormon Kortisol die Amygdala (Mandelkern) im Gehirn, welche für die Regulation der Gefühle zuständig ist. Andererseits wird das Hirnareal des Hippocampus geschwächt und seine Gefühlsreaktionsfähigkeit nimmt ab. Dies kann dann unter Umständen weitere negative Erfahrungen zur Folge haben. Das Alarmsystem des Gehirns ist dann für längere Dauer aktiviert.
Dies war - wie gesagt - lange Zeit für das Überleben der Menschen entscheidend, führt aber heute zu unnötigem Leid, wenn das Warnsystem auch in Situationen dauerhaft aktiviert ist, die nicht lebensbedrohlich sind oder die eher eine Bedrohung auf der sozialen und zwischenmenschlichen Ebene bedeuten. Wir laufen gewissenmaßen die meiste Zeit mit einer Gefahrenbrille auf der Nase und einer Sirene auf dem Kopf durch die Gegend. Das Ergebnis ist: Dauerstress in seinen unterschiedlichen Facetten und Auswirkungen.
Es ist aber möglich mit Hilfe einer kontinuierlichen Praxis der Achtsamkeit den Negativitätseffekt auszugleichen. Wir üben dabei die körperlichen, gefühlsmäßigen und gedanklichen Erfahrungen lediglich zu beobachten ohne darauf zu regieren oder diese zu bewerten; und vielleicht ist es uns dann auch möglich, wahrzunehmen wie alle inneren Erfahrungen einem ständigen Wandel unterliegen. Wie sie erscheinen, für einige Zeit präsent sind und dann auch wieder gehen. Die Ausschläge werden dann unter Umständen mit der Zeit geringer und die emotionalen und körperlichen Schwingungen kommen wieder schneller ins Lot; und vielleicht bleibt dann sogar die Sirene dauerhaft ausgeschaltet.